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Die algebraische Formulierung der Konstruierbarkeit

Die geometrischen Konstruktionsoperationen mit Zirkel und Lineal lassen sich als rationale und algebraische Operationen interpretieren. Mit Hilfe dieser Übertragung geometrischer Fragestellungen in die Algebra und Analysis konnte schließlich bewiesen werden, dass die drei Klassischen Probleme der antiken Mathematik tatsächlich nicht mit Zirkel und Lineal konstruierbar sind.

In seinen Vorträgen über ausgewählte Fragen der Elementargeometrie stellte Felix Klein 1895 den Zusammenhang zwischen der geometrischen Konstruierbarkeit und der algebraischen Formulierung in Gleichungsform her:

"Bei der Fragestellung unseres Hauptproblems: Welche Aufgaben sind (in theoretischem Sinne) construierbar, welche nicht? müssen wir, um den Ausdruck "construierbar" schärfer zu fassen, die Hülfsmittel nennen, deren wir uns gegebenenfalls bedienen wollen. Wir unterscheiden
  1. Zirkel und Lineal,
  2. Zirkel allein,
  3. Lineal allein,
  4. Weitere Apparate, die wir zu Zirkel und Lineal hinzunehmen.
Das Eigentümliche ist, dass die Elementargeometrie nicht zu einer Beantwortung dieser Frage ausreicht. Wir müssen Anlehnung nehmen an Algebra und Analysis und fragen zunächst: Wie drückt sich in der Sprache dieser Wissenschaften die Verwendung von Lineal und Zirkel zur Construction aus? Die Notwendigkeit dieser Gedankenanwendung liegt darin, dass die Elementargeometrie keine allgemeine Methode, keinen "Algorithmus" besitzt, wie die letztgenannten Disciplinen.
Wir haben in der Analysis erstens rationale Operationen. Dahin rechnen wir die Addition und die Subtraction, sowie die Multiplication und die Division. Diese Operationen sind direct geometrisch bei zwei gegebenen Strecken durch Proportionen zu lösen, wenn man im Falle der Multiplication und Division noch eine Einheitsstrecke hinzunimmt. Weiterhin giebt es aber irrationale Operationen und diese teilen wir ein in algebraische und transzendente.
Die einfachsten algebraischen Operationen sind das Ausziehen der Quadrat- und ferner der höheren Wurzeln, sowie die Auflösung von algebraischen Gleichungen, die sich mit Zuhülfenahme von Wurzeln nicht auflösen lassen, wie die fünften und höheren Grades.
Hiervon ist nun ab bekanntlich construierbar, und somit können die rationalen Operationen überhaupt, und die irrationalen, soweit es sich um Quadratwurzeln handelt, construiert werden. Andrerseits ist jede einzelne geometrische Construction, die auf den Schnitt zweier gerader Linien, einer geraden Linie und eines Kreises oder zweier Kreise zurückkommt, mit einer rationalen Operation oder der Ausziehung einer Quadratwurzel gleichbedeutend. Bei den höheren irrationalen Operationen ist also die Construction unmöglich, es sei denn, dass man eine Methode finden sollte, bei ihnen mit Quadratwurzeln durchzukommen. Selbstverständlich darf es sich bei allen auszuführenden Constructionen nur um eine endliche Anzahl von Operationen handeln, und somit haben wir den

Hauptsatz: Ein analytischer Ausdruck ist dann und nur dann mit Zirkel und Lineal construierbar, wenn er aus den bekannten Größen durch eine endliche Anzahl rationaler Operationen und Quadratwurzeln abzuleiten ist.

Wollen wir also später zeigen, dass eine Grösse durch Lineal und Zirkel nicht construierbar ist, so haben wir zu beweisen, dass die Gleichung, in deren Form das Problem gekleidet ist (z.B. x2=2, Kreisteilung, Winkeldrittteilung) nicht durch Quadratwurzeln in endlicher Zahl gelöst werden kann.
A fortiori ist die Lösung unmöglich, wenn überhaupt keine algebraische Gleichung vorliegt. Ein Ausdruck der keiner solchen genügt, heisst eine transcendente Zahl. Dieser Fall trifft unter andern, wie wir zeigen werden, bei der Zahl π ein."

(zitiert nach: Felix Klein: Vorträge über ausgewählte Fragen der Elementargeometrie, S. 2 f.)



  Bert Xylander - 30. Dezember 2015
 
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