Die Epizykloide
Die relative Bewegung von Kreisen zueinander ist bereits seit der Antike mit der Theorie der Epizyklen bekannt, die vermutlich auf
Apollonius von Perge (262 - ca. 190 v.u.Z.) zurückgeht
[van der Waerden, S. 395 ff.].
Im Jahr 1525 konstruierte Albrecht Dürer seine Spinnenlinie [Dürer, Abbildung 40]
als Bahnkurve eines festen Punktes auf der Peripherie eines Kreises, der entlang eines Leitkreises abrollt.
Dies ist die erste bekannte Darstellung einer Epizykloide.
Die erste methodische Behandlung der Epizykloiden wurde 1679 von Philippe de La Hire (1640-1718) veröffentlicht,
allerdings unter direktem Bezug auf die Urheberschaft von Girard Desargue (1591-1661),
der epizykloide Eigenschaften bei der Konstruktion möglichst reibungsfreier Zahnradkombinationen
untersuchte. ([Loria 1911, S. 93 f.] und [Cantor 1892, S. 621])
Geometrische Konstruktion
In einer Ebene rollt ein Kreis mit dem Mittelpunkt
ohne zu gleiten auf der Kreislinie eines Leitkreises mit dem Mittelpunkt
ab. Der Rollkreis befindet sich dabei außerhalb der Kreisfläche von .
Der Radius des Rollkreises sei als gegeben, der Radius des Leitkreises
sei . Ein fester Punkt der Kreislinie des Rollkreises
beschreibt beim Abrollen eine Bahnkurve, die als gewöhnliche Epizykloide bezeichnet wird (Abbildung 26, links).
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Abbildung 26: Geometrische Konstruktion einer Epizykloide (links) und Lage der Epizykloide im Koordinatensystem (rechts).
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Kurvengleichung und geometrische Besonderheiten
In die Ebene wird ein kartesisches Koordinatensystem so eingebracht, dass der Koordinatenursprung im Mittelpunkt
des Leitkreises liegt und die -Achse einen Anfangspunkt
der Bahnkurve enthält. Ein Anfangspunkt ist dadurch gekennzeichnet, dass der feste Punkt gleichzeitig Berührungspunkt
bzw. Auflagepunkt von auf in der Rollbewegung ist (Abbildung 26, rechts).
Mit Hilfe des Winkels
lässt sich die Lage des Rollkreises eindeutig beschreiben.
In Abhängigkeit von entstehen für die
Koordinaten der Kurvenpunkte der gewöhnlichen Epizykloide parametrische Darstellungen:
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Gewöhliche Epiykloide:
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mit
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Das Verhältnis
der beiden Kreisradien des Leitkreises und
des Rollkreises bestimmt die Gestalt der epizykloidalen Bahnkurve hinsichtlich der Anzahl der Kurvenbögen und ihrer
Geschlossenheit.
Ist
positiv ganzzahlig, so besteht die Kurve aus Bögen und die Kurve ist geschlossen,
d.h. sie endet im Anfangspunkt (Abbildung 27, links).
Ein Sonderfall liegt für vor: die gewöhnliche Epizykloide wird zu einer Kardiode.
Ist eine
echt rationale Zahl , so besteht die Kurve aus
Bögen und die Kurve ist nach Umläufen des Rollkreises geschlossen (Abbildung 27, rechts).
Ist eine irrationale Zahl, besteht die Kurve aus unendlich vielen Kurvenbögen und ist nicht geschlossen.
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Abbildung 27: Gewöhnliche Epizykloiden im Verhältnis der Radien
(links)
und (rechts).
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Die periodisch auftretenden Anfangs- und Endpunkte der Kurvenbögen der gewöhnlichen
Epizykloidenkurve stellen Singularitäten dar, da die Kurve dort in Spitzen ausläuft.
Verkürzte und verlängerte Epizykloide
Mit einer verallgemeinerten Lage des festen Punktes in Bezug auf den Rollkreis
entstehen beim Abrollen von auf einem Leitkreis
verlängerte oder verkürzte Epizykloiden.
Bezeichne den Abstand
.
Liegt innerhalb der Kreisfläche des Rollkreises, gilt also , so
entsteht als Bahnkurve des Punktes eine verkürzte Epizykloide (Abbildung 28, links).
Liegt außerhalb der Kreisfläche von , gilt also , so
entsteht eine verlängerte Epizykloide (Abbildung 28, rechts).
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Abbildung 28: Verkürzte Epizykloide (links) und verlängerte Epizykloide (rechts)
jeweils mit Leitkreis und abrollendem Kreis .
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Die Koordinaten der Kurvenpunkte der verkürzten und verlängerten Epizykloide lassen sich analog zur gewöhnlichen Epizykloide
in Parameterform ausdrücken:
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Verkürzte bzw. verlängerte Epizykloide:
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mit
und
bzw.
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Die verkürzte Epizykloide weist keine singulären Punkte auf. Die verlängerte Epizykloide besitzt in periodisch
wiederkehrender Folge Singularitäten in Form von Doppelpunkten.
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